Mikrofilmdigitalisierung beenden!

Nachdem ich Ende des letzten Jahres schon einen Erfahrungsbericht mit einem Archiv veröffentlicht habe, nun etwas zu digitalen Bibliotheken…

Zugegeben, der Titel ist absichtlich provokant gewählt, in Ausnahmefällen kann sie weiterhin ihre Berechtigung haben, aber diese gilt es (sehr eng) zu definieren…

Für meine Recherchen zu Franz Robert Fritz Neumann habe ich im Deutschen Zeitungsarchiv nach Ausgaben der “Deutschen Allgemeinen Zeitung” gesucht, da Neumann vermutlich in den zwanziger Jahren dort arbeitete.

Da er später als Kunstmaler und Grafiker arbeitete, lag es nahe, Werbeanzeigen nach Kürzeln, Monogrammen, Logos etc. zu untersuchen. Das sind Bildelemente, die nur wenige Millimeter groß sind und den jeweiligen Entwerfer / Künstler identifizieren.

Mit Erschrecken musste ich feststellen, dass die Qualität dafür nicht wirklich ausreichte, da die Zeitung nicht vom Original ausgehend, sondern von einer Mikroform digitalisiert wurde! Das hat mich dann doch überrascht!

Hintergrund

Das Deutsche Zeitungsportal wurde 2021 unter dem Dach der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) gestartet. Die “Deutsche Allgemeine Zeitung” wurde bereits 2015 1 mit Mitteln aus dem Rahmenantrag: Digitalisierung historischer Zeitungen 2 digitalisiert, das Projekt wurde also von der DFG gefördert. Die DFG förderte und fördert viele weitere Digitalisierungsvorhaben und verbindet mit diesen Förderungen das Erfüllen von Anforderungen, die in den DFG-Praxisregeln “Digitalisierung” formuliert sind.

Welche Qualität wofür?

Letztlich scheint es mir ein Problem zu sein, dass in den DFG-Praxisregeln zur Digitalisierung die Definition der “Qualität” nicht ausgefeilt genug ist. Die Zieldefinition ist recht abstrakt, um sie in einem Satz zusammenzufassen: Bereitstellung, Nutzbarmachung und Vernetzung von Flachware aus Bibliotheken, Archiven und Museen zur direkten Nachnutzung für geisteswissenschaftliche Forschung, mit dem Anspruch, die physische Vorlage zu schonen.

Dazu gibt es unter 3.2 (Technische Parameter der digitalen Reproduktion) Empfehlungen, aber dies sind eben nur Empfehlungen. Warum nicht einfach mindestens 300 ppi (auf Basis der Originalvorlage) für Druckwerke vorschreiben? Schließlich muss es doch darum gehen, dass mit dem Digitalisat Nutzungsszenarien verschiedener Disziplinen erreicht werden können. Was für die (immer besser werdende) Volltexterkennung und damit das Retrieval ausreichend ist, ist für andere Zwecke (s.o.) vielleicht nicht genug .

Um dem Einwand vorzubeugen, dass der Anspruch der Digitalisierung gar nicht allen denkbaren Nutzungsszenarien dienen kann und soll: Die Qualität in der die “Deutsche Allgemeine Zeitung” (und sicher noch andere Titel) verfügbar ist, reicht nicht einmal für eine vernünftige Volltexterkennung. Das kann man direkt im Deutschen Zeitungsarchiv in der Volltextansicht sehen .

Die Praxisregeln gehen zwar auf viele limitierenden Faktoren der Mikroformen in Abschnitt 3.2.2.4 ein und verdeutlichen explizit, dass die normalerweise geltenden Qualitätsforderungen mit ihnen eigentlich unerreichbar sind. Denn bei Mikroformen handelt es sich zumeist um Graustufenaufnahmen, womit ein weiterer Informationsverlust verbunden ist. Trotzdem gestehen die Regeln die Digitalisierung von Mikroformen zur Kostenreduktion des Prozesses zu. Warum eigentlich, wenn dies doch gar kein Ziel ist?

Hier ist mit Rücksicht auf das Zielpublikum der Praxisregeln eine Aktualisierung und damit einhergehend eine Verbesserung der Aufklärungsarbeit zu fordern: Gerade mit Rücksicht darauf, dass digitalisierende Einrichtungen nicht über die Anforderungen z. B. der Digital Humanities Community informiert sind, aber nichtsdestoweniger ebenso Digitalisierungsprojekte planen und durchführen. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass überall die Fachexpertise vorhanden ist, die denkbaren negativen Konsequenzen der Digitalisierung absehen bzw. einschätzen und bewerten zu können. Daher fordere ich die DFG auf, in der nächsten Fassung der Praxisregeln deutlich höhere Qualitätsanforderungen für die Förderung von Digitalisierungsprojekten in Hinblick auf mikroverfilmte Zeitungen (und andere gedruckte Materialien) anzusetzen sowie den digitalisierenden Einrichtungen mehr Informationen über die unterschiedlichen Verfahren, Aufnahmequalitäten und damit verbundenen Konsequenzen für den Informationserhalt (oder potentiellen -verlust) an die Hand zu geben. Ein Leitfaden zur Bewertung von Qualitäten anhand konkreter Anwendungsfälle kann neben sehr konkreten Anforderungen (keine Empfehlungen) auch das Verständnis für diese Anforderungen verbessern.

Und wenn man schon dabei ist, sollten die Aktualisierungen auch in informationstechnischer Hinsicht angepasst werden, indem z. B. die Formatempfehlungen wenigstens um JPEG-XL ergänzt werden…

Zur Bewertung der zur erwartenden Nachnutzbarkeit eines Mikroformendigitalisats bietet sich ein einfacher Vergleich an: Das das Ergebnis einer automatischen Volltexterfassung auf Basis der digitalisierten Mikroform sollte nicht signifikant schlechter sein, als auf Basis des digitalisierten Originals. Wenn eine Vorlage für den Corpus unerlässlich ist, sollte auch die destruktive Digitalisierung , also z.B. das Entfernen eines Rückens, um einen automatisierten Einzug zu ermöglichen, (entweder aus Kostenersparnis oder konservatorischen Gründen, weil der Erhaltungszustand ohnehin zu schlecht ist) kein Tabu sein, wenn eine gewisse Anzahl anderer Institutionen weitere physische Exemplare vorhalten. In diesem Fall ist sie der Digitalisierung der Mikroform vorzuziehen! Insgesamt ist dafür zu plädieren, Mikrofilmdigitalisierung nur noch für unikales Material vorzusehen, z. B. aus Archiven (siehe Fußnote 30 der Praxisregeln).

Nachnutzung und Nachhaltigkeit

Was nutzt es, Ressourcen durch eine kostengünstige Massendigitalisierung von Mikroformen zu sparen, wenn man darauf ausbauende Nachnutzungsszenarien mit dieser Maßnahme massiv einschränkt? Nachhaltig ist das im Endeffekt nicht, sondern läuft im äußersten Falle sogar dem Ziel der direkten, bestandsschonen Arbeit mit dem Digitalisat zuwider.

Vielleicht kann ja eine Leserin diesen Vorschlag an die Mitglieder des Redaktionsteams der Praxisregeln weiterleiten.

Update 16.3.2025

Es gibt nun einen weiteren Artikel zu potentiellen Ergänzungen der DFG-Praxisregeln.